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Blog aus Lesbos - Teil 3

Kriegsschiffe und Tränengas

Eine sechsköpfige Gruppe unter Leitung der Pfarrerin für Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Sabine Müller-Langsdorf hält sich zurzeit auf der griechischen Insel Lesbos auf. Sie informiert sich dort über die Situation der Flüchtlinge nach dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei und führt Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen, Flüchtlingsinitiativen und kirchlichen Vertretern. Berndt Biewendt schildert seine Eindrücke zur Lage vor Ort.

Bildergalerie

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Vom Balkon meines Hotels in Lesbos kann ich die Nato-Kriegsschiffe beobachten. Sie kreuzen in regelmäßigen Abständen zwischen den griechischen Inseln und dem türkischen Festland. Offiziell sollen sie den Seeweg kontrollieren und nach „illegalen“ Flüchtlingen Ausschau halten. Tatsächlich dient dieses martialische Auftreten wohl eher der Abschreckung von Schleppern. Seitdem auch Polizei und Militär der Türkei die Kontrollen verschärft haben, erreichen nur noch wenige Flüchtlingsboote die griechischen Inseln in der Ost-Ägäis. Die Familie Sofi aus Syrien hat es geschafft. Sie lebt seit 14 Tagen in Karatepe – einem Flüchtlingscamp auf Lesbos, in denen vor allem Familien und allein reisende Frauen untergebracht sind. Die meisten sind vor dem Krieg in Syrien geflohen, aber auch Afghanen, Pakistaner, Iraner und Iraker haben in diesem Camp eine vorläufige Bleibe gefunden. Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf, die bereits im vergangenen Jahr hier war, erkennt das Lager kaum wieder. Die Zelte sind verschwunden. Die Flüchtlinge – etwa 1.000 an der Zahl - leben in kleinen Wohncontainern und auch die Versorgung scheint, soweit wir das beurteilen können, zu funktionieren. Vom Chaos des vergangenen Jahres keine Spur mehr.

Ziel Deutschland

Marwa, die 16jährige Tochter, spricht als einzige der Familie Sofi etwas Englisch. Wir verständigen uns auch mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms auf ihrem Smartphone. Sie ist voller Hoffnung und Vorfreude und erzählt mir, dass sie bald von Lesbos nach Athen fahren werden und dann weiter nach Deutschland. Dort lebt bereits ihre ältere Schwester mit ihrer Familie - in der Stadt Oflenboog, was sich schnell als Oldenburg herausstellt. Marwas Mutter zeigt mir auf dem Smartphone Fotos von ihren Enkelkindern in Deutschland und strahlt vor Stolz. Marwa und ihre Eltern haben noch nicht vom Abkommen zwischen der EU und der Türkei gehört. Sie ahnen nicht, dass sie sich auf eine lebensgefährliche Überfahrt begeben haben und die EU möglicherweise wieder verlassen müssen. Sie wissen nicht, dass alle Flüchtlinge, die nach dem 20. März dieses Jahres die griechischen Inseln erreichen, in die Türkei zurückgeschickt werden sollen.

Das Abkommen und die Folgen

Bundesinnenmister Thomas de Maizière hatte Anfang April den EU-Türkei-Deal mit den Worten verteidigt: „Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig“. Hart wird es für Marwas Vater, der seine Familie zusammenführen und zusammenhalten will. Er geht an einem Stock. Ein Granatsplitter hat einen Teil  seines rechten Unterschenkels zerfetzt. Er zeigt mir auch seinen Oberkörper, der voller Brandspuren und Narben ist. Ich versuche, zu erklären, dass sich die Politik geändert hat, dass es auch für Syrer viel, viel schwieriger geworden ist, nach Deutschland zu kommen. Die Eltern können mich nicht verstehen, nur Marwa schaut ungläubig staunend. Vielleicht spürt sie in diesem Moment, dass ihr Ziel in weiter, weiter Ferne liegt.

Ich wünsche Marwa und ihren Eltern alles Gute. Zum Abschied fragt sie mich, ob ich helfen könne. Und ich weiß, dass meine Antwort hilflos ist: ich helfe, wenn, ja wenn ich nur könnte. In einem Strandcafé einige Kilometer von Karatepe entfernt haben es sich Polizisten der Frontex gemütlich gemacht – unter ihnen zwei Deutsche. Sie plaudern auf Englisch, lachen und scherzen. Ihr Auftrag: Rückführung illegaler Flüchtlinge. Ob die Familie Sofi auch von Frontex zurück in die Türkei gebracht wird?

Feuer und Tränengas in Moria

Für den Nachmittag haben wir uns mit Christos verabredet. Er arbeitet als Krankenpfleger in dem Flüchtlingscamp Moria, das der Papst vor kurzem besucht hatte. Wir wollen von ihm erfahren, welche physischen und psychischen Folgen es für Flüchtlinge in einem Lager hat, das sie nicht verlassen dürfen, das von Stacheldraht umzäunt ist und von der Polizei bewacht wird. Christos kommt nicht zu dem verabredeten Termin. Am Abend erfahren wir warum. Er konnte nicht. In Moria haben jugendliche Flüchtlinge gegen ihre Internierung protestiert und Abfalltonnen angezündet. Die Polizei setzte Tränengas ein. Ein Aktivist einer Nichtregierungsorganisation war vor Ort und schickte uns ein Foto, das die ganze Dramatik anschaulich macht.

Seelenverkäufer

Im Hafen der Inselhauptstadt Mytilini wurden am Kai größere Boote festgemacht, mit denen Flüchtlinge in den Wintermonaten übersetzten. Im Innenraum liegen noch hunderte Rettungswesten. Es sind nicht mehr seetüchtige Schiffe, weiß getüncht und etwas aufgehübscht, die Schlepper für wenig Geld aufkauften und sich dann die Überfahrt teuer bezahlen ließen. 1.500 Euro oder mehr musste jeder Flüchtling zahlen, weil es sich im Gegensatz zu den Schlauchbooten angeblich um sichere Schiffe handelte. Wenn man wie ich EU-Bürger ist, den „richtigen“ Pass hat, kostet die Hin- und Rückfahrt Lesbos-Türkei auf einem Fährschiff gerademal 15 Euro. Das ist genau ein Hundertstel des Preises, den die Flüchtlinge zahlen müssen. Die Afghanen, Pakistaner, Iraner, Iraker und Syrer haben den „falschen“ Pass oder gar keinen. Deshalb hat sich das Meer für sie in ein Massengrab verwandelt. 805 Menschen sind im vergangenen Jahr zwischen der Türkei und Griechenland ertrunken, in diesem Jahr bereits über hundert – darunter Kinder und Jugendliche. 

Im Hafen von Mytilini steht ein Denkmal von Sappho. Sie lebte und wirkte im 7. Jahrhundert vor Christi auf Lesbos und gilt als die erste Dichterin überhaupt. Mit der Herrscherfamilie hatte sie es sich verscherzt und wurde für einige Jahre ins Exil nach Sizilien verbannt. Sie kehrte zurück. Es ist anzunehmen, dass ihr Schiff seetüchtiger und sicherer war, als die Seelenverkäufer, mit denen heute Menschen versuchen, vor Krieg, Gewalt und Verfolgung zu fliehen, in der Hoffnung in Europa ein neues, ein besseres Leben zu finden.

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