Stadtjugendpfarramt Gießen

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen auf unseren Seiten! Wir wünschen dir viel Spaß beim Durchklicken und freuen uns über dein Feedback. Wäre schön, dich bei einer unserer Veranstaltungen zu treffen!

Was mache ich, wenn...
Menümobile menu

(Un)Freier Wille

Freiwillig oder fremdgesteuert?

istock, UriluxSpaghetti essenFreier Wille und Heißhunger - wie passt das zusammen?

Es ist wieder Fastenzeit: Einige verzichten deshalb auf Alkohol, Zigaretten oder Fleisch. Doch warum entscheiden wir uns eigentlich für oder gegen etwas? Welche Rolle spielt unser freier Wille? Im Interview mit EKHN.de erklärt der Theologe und Uni-Professor Dr. Lukas Ohly, was der freie Wille mit Spaghetti Bolognese und der Wahl unseres Partners zu tun hat.

Ursprünglich ist die Fastenzeit zwar ein katholischer Brauch, aber auch viele evangelische Christen verzichten in den sieben Wochen vor Ostern auf Alkohol oder ungesundes Essen – natürlich freiwillig, ganz klar. Doch mit der Lust auf Spaghetti Bolognese kann das Fasten zur Herausforderung werden. Wie steht es mit unserem freien Willen? Gibt es ihn wirklich, oder werden wir in unseren Entscheidungen eigentlich nur fremdgesteuert durch Bedürfnisse, durch Prozesse in unserem Gehirn – oder von Gott?

Dr. Lukas Ohly beschäftigt sich an der Goethe-Uni Frankfurt mit theologischer Ethik. Er sagt, dass wir zwar in unseren Entscheidungen frei sind – einen wirklich freien Willen haben wir allerdings nicht. Im Interview mit EKHN.de erklärt Lukas Ohly, was er damit meint.

Herr Dr. Ohly, Ihrer Meinung nach haben wir gar keinen freien Willen – eine gewagte These, wir konnotieren freien Willen heutzutage ja sehr positiv...

Die Frage ist, was genau man sich darunter vorstellt. Wenn ich im Restaurant etwas zu essen bestelle, ist meine Entscheidung immer von meiner Lebensgeschichte, meinen Vorlieben und so weiter beeinflusst. Ich bestelle natürlich ein Gericht, von dem ich weiß, dass es mir besonders gut schmeckt. Das wäre in gewisser Weise keine freie Entscheidung – trotzdem würden wir sagen, dass uns diese Entscheidung, obwohl sie nicht frei ist, lieber wäre als eine rein zufällige.

Sie differenzieren also zwischen freien Entscheidungen, die wir treffen können, und dem freien Willen. Was genau ist denn der Unterschied?

Stellen Sie sich eine Situation im Restaurant vor: Aus welchem Grund bestellen Sie sich denn zum Beispiel Spaghetti Bolognese? Weil Sie wissen, dass es Ihnen gut schmeckt. Dieses Wissen ist unabhängig vom freien Willen, Sie haben sich ja nicht bewusst dazu entschieden, dass Ihnen das Gericht gut schmeckt, sondern es schmeckt Ihnen nun mal einfach.

Es ist also ein Trugschluss, dass ich mich frei entscheide, sondern ich entscheide mich vielleicht, weil Gott mir die Vorliebe für Spaghetti Bolognese gegeben hat?

Ich denke, bei Spaghetti Bolognese hat Gott nicht so viel dazu beigetragen. In Bezug auf Gott geht es eher um allgemeine Fragen wie: Kann ich mich entscheiden, welches Leben ich führen möchte oder welche Werte mir wichtig sind? Kann ich mich entscheiden, Entscheidungen zu treffen, von denen ich weiß, dass sie mir gut tun? Das ist ja tatsächlich oft nicht der Fall: Wir treffen unsere Entscheidungen immer mit dem Risiko, dass wir uns täuschen könnten und im Nachhinein eingestehen müssten:  „Das war damals eine Fehlentscheidung".

Beim Spaghetti-Beispiel würde ich eher mit den Neurowissenschaften argumentieren: Es gibt irgendwelche Vorerfahrungen und Bedingungen in unserem Gehirn, die dazu führen, dass uns etwas schmeckt oder nicht schmeckt. Aber all diese Bedingungen sind uns ja vorgegeben. Das bedeutet wiederum, dass freie Entscheidungen nur aufgrund solcher Vorbedingungen möglich sind, die aber nicht frei gewählt sind. Die Willens- und Entscheidungsfreiheit gibt es also immer nur in einem unfreien Kontext.

Menschen fasten ja auch aus Vernunftgründen, weil es gesund ist. Zeigen solche Vernunft- oder Verzicht-Entscheidungen denn nicht, dass wir doch einen freien Willen haben?

Nein, weil auch die vernunftgeleitete Selbstbestimmung von anderen Dingen beeinflusst wird. Ich spreche von gesellschaftlichen Vorgaben und Werten, an denen wir uns intuitiv orientieren. Wenn ich mich dazu entscheide, zu fasten, weil das als vernünftig gilt, dann ist das ja auch eine Vorgabe bestimmter gesellschaftlicher Milieus und damit ist auch meine Vernunft- beziehungsweise Verzicht-Entscheidung nicht mehr völlig frei.

Ein anderes Beispiel zum Thema "freier Wille" ist der Sündenfall im Paradies: Die Frucht wird ja trotz Gottes Rat gegessen. Wie sehen Sie das?

Das passt im Grunde wieder gut zu unserem Restaurant-Beispiel: Wenn die Frau gesehen hat, dass die Frucht köstlich und appetitlich aussieht, dann ist der Appetit das, was in ihr den Willen erzeugt, diese Frucht essen zu wollen. Das zeigt aber auch hier wieder, dass der Wille nicht frei ist: Es ist die Frucht, die bei ihr den Appetit und damit den Willen erzeugt, sie zu essen.

Wann wäre unser Wille in dem Fall frei?

Wenn die Frau unabhängig davon, ob die Frucht appetitlich ist oder nicht, sich entscheidet, sie zu essen oder nicht. Ein freier Wille bei uns wäre völlig unabhängig davon, was uns in der Welt beeindruckt. Dann wären wir wirklich frei. Aber genau das ist der Punkt: Wollen wir wirklich einen freien Willen haben? Das klingt immer erstmal so toll, aber ich glaube, dass wir so etwas nicht wirklich haben wollen.

Wie verhält es sich denn mit der Wahl des Partners?

Auch hier würde ich mich eher an die Neurowissenschaften halten. Es gibt dort Studien, die besagen, dass wir unsere Partnerwahl gar nicht frei treffen, sondern dass bestimmte Gerüche und chemische Vorgänge eine Person für uns sympathisch werden lassen. Auch da treffen wir also keine freie Wahl. Die setzt erst in ethischer Hinsicht an der Stelle ein, wenn es darum geht, ob wir uns dem Menschen, den wir sympathisch finden, auch öffnen wollen.

Ich unterscheide hier zwischen Verliebtsein und Liebe. Das Verliebtsein geschieht passiv, das können wir gar nicht steuern. Liebe hingegen ist die Frage, wie wir uns zu diesem Verliebtsein verhalten wollen. Das ist wiederum eine Entscheidung, die wir schon frei treffen können.

Wie steht es denn mit dem berühmten „Willen Gottes“? Kann man sagen, dass unser Wille auch deshalb nicht frei ist, weil Gott uns lenkt und wir seinen Willen geschehen lassen?

Martin Luther hat gesagt, der Mensch ist ein Reittier, und er – genauer gesagt, der menschliche Wille – wird entweder von Gott oder vom Teufel geritten. Man könnte das auch so deuten, dass ich keine freien Entscheidungen treffen kann, weil Gott ja immer schon weiß, welche Entscheidungen ich treffe. Ich persönlich glaube aber, dass die Allwissenheit Gottes nicht im Widerspruch zur menschlichen Freiheit steht, weil immer auch Dinge passieren können, die niemand, nicht mal Gott weiß oder vorhersagen kann, weil es sie vorher noch nicht gab.

Man kann aber davon ausgehen, dass Gott schon weiß, welches Gericht ich im Restaurant bestelle oder welche Partnerin, welchen Partner ich wähle. Ich fühle mich da auch nicht angetastet in meiner menschlichen Verantwortung, diese Entscheidung zu treffen.

Es ist also ein Wissen, aber kein Bestimmen.

Genau, Gott weiß das, greift aber nicht ein.

Felix Kästner

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top